KSJ Trier

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Katholische Studierende Jugend Diözese Trier

„Jakob, ich komme nicht mehr nach Hause.“

6. Mai 2012 | Kommentare deaktiviert für „Jakob, ich komme nicht mehr nach Hause.“

Aktuelles aus der Austellung – Teil 6

Gestern waren auch zwei Männer aus dem Saarland da, der eine recht alt, der andere sein Sohn. Man brauchte nicht lange zu warten, ehe der Ältere anfing zu sprechen. Er hatte die nationalsozialistische Zeit und den Krieg noch sehr genau in Erinnerung und erzählte, als ob alles gestern erst geschehen sei. Er erinnerte sich vor allem daran, dass der Bruder seines Vaters durch medizinische Versuche in der Homburger Klinik umgekommen ist. Er war wohl unliebsam geworden durch unvorsichtige Äußerungen und man hatte ihn verhaftet. Beim letzten Besuch seines Bruders in der Haft hatte er ihm gesagt: „Jakob, ich komme nicht mehr nach Hause.“

Vier Wochen später erhielt die Familie die Urne mit der Asche. „Seitdem hat mein Vater nicht mehr gesprochen“, sagt der alte Mann. Und er weiß auch noch, dass zwei behinderte Jungen aus seinem Ort abgeholt wurden. Er spielt mir ihre spastischen Bewegungen vor, so genau kann er sich an die Jungen erinnern. Auch sie kamen nicht mehr wieder. Als sog. „lebensunwertes Leben“ hatten sie keine Chance. Im Ort traute sich niemand nachzufragen, Angst und Abhängigkeiten bestimmten den Alltag. Hinter vorgehaltener Hand nur gab man Informationen weiter.
Und es gab polnische Zwangsarbeiterinnen im ortsansässigen Betrieb, junge Mädchen – ich muss an Zofia Klinke denken. „Der Vorarbeiter war gemein zu ihnen, der Besitzer nicht,“ weiß der alte Mann noch genau. „Nach dem Krieg ist er für ein paar Monate verschwunden, danach hat niemand mehr genauer nachgefragt.“ Bis 1953 hatten ehemalige Nazis noch die Deutungsmacht in diesem Ort und alle wichtigen Posten besetzt. Immer noch regierten Angst und Einschüchterung. Dann kam ein neuer Pastor, „der räumte auf“. „Von ihm habe ich viel gelernt,“ sagt der Mann. „Und dann gab es endlich Bücher; ich habe viel gelesen, um alles zu verstehen.“ Und dann kam die Berichterstattung über den Eichmannprozess und so allmählich lösten sich Zungen.
„Schreiben Sie Ihre Erfahrungen auf, sie gehen sonst verloren. Oder erzählen Sie und nehmen es auf, es ist wichtig.“ Ob die Kraft dazu noch reicht?

Alle Beiträge zum Projekt “Am Boden – Das Kleid einer KZ-Überlebenden ” finden sich unter dem Tag → “Am Boden”-Ausstellung